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Samstag, 21. August 2010

Ein wichtiger Brief

Meine liebe Mutti,

nein, Du musst Dir keine Sorgen machen, ich hab das alles in Griff.

Gut, ich bin gestern Vormittag in Panik geraten. Das hatte zwei Gründe.

Einmal, weil ich verdorbene Pfifferlinge gegessen habe. Aber nur einen ganz kleinen und ein kleines Stückchen von einem großen Pfifferling. Das letzte Stückchen hat so eklig und widerlich geschmeckt, aber ich habe mir nicht getraut, es in der Gaststätte auszuspucken, somit habe ich es, trotz Widerwillen, hintergeschluckt. Das Ganze war am Mittwoch beim Italiener gegen 17.00 Uhr. Mein Süßer und ich, wir wollten uns nur ganz spontan etwas Gutes gönnen. Da hatten wir dann den Dreck. Am Donnerstag früh in der Klinik, kurz vor meiner Entlassung, ging es dann los. Mir wurde auf einmal speiübel und ich musste auf Toilette zum Brechen rennen, es kam allerdings nichts. Als ich dann zu Hause war, ging es so weiter. Ich hatte keinen Appetit und mir wurde immer so wie Brechen und der eklig-bittere Geschmack der Pilze kam immerzu hoch. Da habe ich im Krankenhaus angerufen und mich erkundigt, wie ich mich verhalten soll. Auf den Rat der Ärztin dort habe ich nur noch Kamillentee getrunken. Am Nachmittag bin ich dann zu meiner Hausärztin und habe es ihr geschildert. Sie hat mir dann bestätigt, dass ich es richtig gemacht habe, mit dem Tee trinken und Zwieback essen. Aber leider machte sie eine kleine Bemerkung so am Rande: „Wollen wir das Beste hoffen“. Kombiniert mit der Frage: „Wann war es genau und um welche Uhrzeit“ kreisten nach diesem Arztbesuch meine Gedanken immerzu. Ich dachte, besonders wenn es mir so übel wurde und das eklig-Bittere so hochkam, na hoffentlich habe ich mich mit den Pfifferlingen nicht vergiftet! Ich versuchte mich immerzu zu beruhigen, aber da es am Freitag früh so weiter ging mit der Übelkeit und dem eklig-bitterem und Schwindel hinzukam, steigerte ich mich so dolle rein, dass es mir richtig schlecht ging und ich in Panik geriet, dass ich mich so vergiftet hätte, dass ich sterben muss. Es ging mir auch richtig hundeelend.

Da komme ich zu dem zweiten Grund – die Psychose. Ich bin zwar aus der Klinik entlassen worden, aber damit ist ja die momentane Psychose nicht gleich weg. Und diese ist der Grund, dass ich mich in so was schnell und mit falschen Gedanken reinsteigere. Da konnten leider auch mein Schatz seine beruhigenden Worte diesmal nichts ausrichten. Ich fühlte mich nicht mehr in der Lage, zu dem Termin bei meinen Psychiater zu gehen, nicht mal mehr mit dem Bus. Zum Glück erreichte ich meinen Großen und er war mit seiner Freundin sofort bereit, mich zu dem Termin zu fahren. In einem zweiten Anruf schilderte ich ihm meine Panikgedanken und mit seiner ruhigen Art und seinem Fachwissen konnte er mich erst einmal ein bisschen beruhigen. Als ich von den beiden dann abgeholt wurde – endlich, weil die Panik wieder hochkam – konnten mich seine beruhigenden Worte endlich von dieser Panik wieder wegbringen. Er sagte mir auch, dass ich ja gleich mit meinem Arzt darüber sprechen könnte. Das beruhigte mich dann endgültig.

Bei meinem Arzt ging dann alles so schnell und aber auch ganz locker, dass ich gar nicht dazu gekommen bin, ihm meine Beschwerden zu schildern. Die Art meines Großen hat mich jedoch so sehr beruhigt, dass ich sogar noch eine Kleinigkeit einkaufen konnte und, da ich den Bus noch wegfahren gesehen habe, sogar nach Hause gelaufen bin. OK ich war dann ganz schön fertig und bin nur ganz langsam vorwärts gekommen, aber ich habe es gepackt.

Und, wie Du meinem Blog entnehmen kannst, war ich dann sogar abends noch mal im Baumark, weil ich mir eine kleine Freude tun wollte. Diese klitzekleine Freude war bitternötig, weil es mir durch die Psychose hundeelend ging, aber ich mich auf keinen Fall deswegen hinlegen wollte, ICH KANN MEIN BETT AM TAGE NICHT MEHR SEHEN!!!! Das kannst Du sicher verstehen, weil ich monatelang fast nur liegen konnte. Und Du kennst mich ja – das war ja damals als Kind mit meiner besten Freundin schon so – sobald ich nach einer Krankheit wieder „krauchen“ konnte, bin ich mit ihr los in die Stadt. Und das hat mir gut getan. Genau so ging es mir gestern Abend – ich bin glücklich mit meinen beiden kleinen Blümchen nach Hause geschlichen. Lächel.

Danach konnte ich sogar schon wieder Schnitte mit Rapsmargarine und Käse essen und noch später, als wieder der unstillbare Heißhunger (wie jeden Abend) kam, habe ich sogar Schokolade gegessen. Und jetzt geht es meinem Bauch wieder gut.

Du siehst also, liebe Mutti, Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen.

Das mit der Psychose ist jeden Tag bei mir anders. Einen Tag denke ich, Mensch geht’s Dir gut Ina, da könnte ich Bäume ausreißen. Und schon den nächsten Tag kann es sein, dass ich gedanklich wie durch Watte laufe und alles nur verschwommen wahrnehme. Dabei habe ich dann ganz falsche Gedanken, ich denke, Menschen beobachten mich oder steigere mich eben in solche Gedanken rein, dass ich jetzt sterben muss. Ich laufe dann wirklich rum „wie Falschgeld“ und bin gar nicht wirklich da. Am nächsten Tag denke ich dann, oh Gott Ina, wie hast Du denn diesen Tag überstanden. Und ich wundere mich, was ich an solchen Tagen trotzdem geschafft habe.

Ich denke, der Dopamin-Spiegel in meinem Gehirn muss erst einmal wieder ins Gleichgewicht geraten, dann geht es mir vielleicht mehrere Tage hintereinander besser. Aber der Klinikaufenthalt hat mich jetzt soweit gebracht, dass ich weiß, ich muss es AKZEPTIEREN, dass ich krank bin und das will ich auch. Außerdem blättert nun langsam diese große Last von mir ab, dass ich immer „funktionieren“ wollte (auf Arbeit gehen, den Außenstehenden nicht zeigen, wie krank ich bin), so dass allmählich spürbar ein großer Druck von mir abfällt, den ich vorher gar nicht wahrgenommen habe. Und ich bin der wirklichen Überzeugung, dass es mir dann irgendwann, wenn ich das alles verarbeitet habe, auch besser gehen wird.

Ich bin so froh, dass ich jetzt rundherum bei der Ambulanz in der Klinik behandelt werde, dort fühle ich mich sehr gut aufgehoben. Bei meiner Fachärztin wurde ich zwar auch sehr gut versorgt, aber in der Klinik ist viel mehr möglich. Dort kann ich auch an Therapien, wie an meiner Selbsthilfegruppe und später vielleicht auch an der Ergotherapie, teilnehmen.

Also, meine Mutti, ich habe es – mit Hilfe – doch recht gut im Griff.

So, und nun hoffe ich, dass ich noch ein bisschen schlafen kann.

Ich drück Dich ganz lieb

Deine Tochter Ina