Komm, tauch ein, auch hier kann es so richtig gemütlich sein!

Ein Mut-mach-Büchlein

Ich bin doch nicht verrückt!!!!!!

Mein Mut-mach-Büchlein für Dich

"Die Geht-So-Tage sind eigentlich nur ne Vorbereitung auf die Absolut-Obergeil-Tage. Das ist so ne Art Naturgesetz. Auf jeden Geht-So-Tag kommt mindestens ein Obergeil-Tag. Ja, sonst kommt alles aus dem Gleichgewicht."
Zitat von Stella aus Alles-Was-Zählt


Vorwort oder Was ist für mich Schizophrenie

Ein Buch sollte meiner Meinung nach immer spannend aufgebaut sein, um den Leser zu fesseln.

Aber hier geht es mir nicht in erster Linie um diese Spannung. Daher schreibe ich meine wichtigsten Erkenntnisse sofort und als Erstes auf:
Da ich nicht akzeptieren konnte, dass ich „verrückt“ geworden bin, begann ich sehr früh nach Ausbruch der Krankheit nach Antworten zu suchen. Die erste Erkenntnis, welche ich fand, die mir wirklich gefiel, stand in einem Büchlein unscheinbar zwischen anderen dicken medizinischen Büchern auf Arbeit versteckt. Ich hatte es dann für mich so übersetzt: Zwischen den ganzen Nerven im Gehirn sind kleine Lücken. Damit die Daten, welche das Gehirn verarbeiten muss, trotz dieser Lücken übertragen werden können, gibt es den Botenstoff Dopamin, der die Lücken füllt, sozusagen eine Verbindung zwischen den Nerven herstellt. Bei Schizophrenie hauen diese Verbindungen zwischen den einzelnen Nerven im Gehirn nicht hin, weil etwas mit der Dopaminproduktion nicht stimmt. Bei einem akuten Schub bricht alles zusammen, wie ein Infarkt im Gehirn. Diese Krankheit kann vererbt werden.

Diese Erkenntnis sagte mir: Ich kann ja nichts dafür! Und es gibt einen wissenschaftlichen Grund, dass ich durchgedreht bin. Und es ist mir passiert, weil diese Krankheit schon einmal in meiner Familie aufgetreten ist.

Das war die absolute Befreiung für mich. Ich bin nicht ohne Grund einfach nur mal so durchgedreht – wofür ich mich so geschämt habe.

Könnte Dich dieser Gedanke nicht auch sehr beruhigen?

Im Laufe der Jahre, in denen ich immer mehr zu dieser Krankheit stand und auch offener redete, dass ich krank bin, umschrieb ich, um nicht das Wort Schizophrenie benutzen zu müssen, die Krankheit immer damit, dass mein Stoffwechsel im Gehirn nicht richtig hinhaut und dadurch bei mir Eindrücke von Außen nicht richtig verarbeitet werden und es mir dadurch nervlich schlecht geht. Damit konnte ich besser leben, als jedem sofort zu sagen: ICH HABE SCHIZOPHRENIE.

Aber nun erst einmal von Anfang an.


Meine Gedanken 2007 – oder, meine Geschichte, wie alles begann

Ich bin doch nicht verrückt!!!!
Doch, ich war es!

Aber ich möchte es Dir von Beginn an erzählen.

Februar 1995 (ich war fast 29 Jahre alt) wachte ich auf der Intensivstation auf und wusste nicht mehr, was vergangene Nacht mit mir passiert war. Meine letzte Erinnerung war, dass ich mich am Abend wahnsinnig über meinen damaligen Mann aufgeregt hatte, weil er immer wieder zu viel Alkohol trank. Ich saß dann mit meinen Söhnen (7 und 9 Jahre alt) in der Wanne und schmiedete mit ihnen einen Geheimplan für das Leben ohne ihren Vati. Letzte Erinnerungen in Bruchstücken hatte ich dann nur noch daran, dass ich durch die dunkle Nacht umherirrte, auf den Weg zu meiner Schwägerin und mit dieser dann zu meinen Eltern. Dort bin ich, die immer ruhige und ausgeglichene Ina, ausgerastet.
S c h n i t t  - keine Erinnerung mehr.

Auf der Intensivstation flüsterte mir eine sehr nette, sympatische Schwester wohlmeinend zu, dass ich mich unbedingt behandeln lassen soll. Aber ich wusste in diesem Moment gar nicht, was ich behandeln lassen sollte.

Von der Intensivstation aus wurde mir eine Computertomographie (CT) meines Kopfes gemacht und danach eine Lumbalpunktion, dabei wurde mir Hirnwasser aus meiner Wirbelsäule gezogen. Ich empfand das alles nicht als schlimm, mir ging es gut und ich wollte gerne wieder nach Hause. Aber die Ärzte empfahlen mir, mich in der Psychiatrie behandeln zu lassen. Hm, Psychiatrie – also war ich wohl in der vergangenen Nacht durchgedreht. Ich willigte schweren Herzens in die sofortige Überweisung ein.

Psychiatrie – ich fühlte mich so unwohl in meinem kleinen Einzelzimmer. Ein ganz großer Druck lastete auf meiner Brust, ich wäre so gerne einfach nur gegangen.

Den  Arzt, welcher bei mir hereinsah, bat ich, mir in meiner Not zu helfen. Er gab mir Tabletten, dann schlief ich, ganz tief. Als ich zum Abendbrot geweckt wurde, konnte ich kaum meine Augen aufhalten. Und dann schlief ich weiter.

Ich gewöhnte mich dann doch ziemlich schnell an den Klinikalltag und beteiligte mich an verschiedenen Aktivitäten, wie Tischtennis sowie Tanzen und unterhielt mich nett mit den Mitpatienten.

Nach zwei Wochen wechselte ich in die Tagesklinik, das hieß, auf der selben Station, aber ich konnte nachmittags nach Hause gehen.

Ich unterhielt mich viel mit einer 17-Jährigen, welche an Magersucht litt und wir besuchten auch in einer Gruppe an einem Tag eine Druckerei. Mittlerweile fühlte ich mich sehr wohl, die Klinik war meine Burg – mein Schutzwall gegen allen Stress da draußen. Auch später, wenn ich an der Klinik vorbeifuhr, erinnerte ich mich daran, wie beschützt ich hier war. Ihr Äußeres sah so aus, als würde sie dies bestätigen wollen, eine Villa mit kleinen Türmchen, wie eine Burg.

Mit meinem damaligen Mann hatte ich wieder den normalen, nicht sehr glücklichen Alltag, ich hatte gegen sein Trinken resigniert und auch gar keine Kraft, diese Beziehung zu beenden. Ich dachte einfach nicht mehr daran, denn ich hatte ja genug mit mir zu tun.

Nach zwei Wochen Tagesklinik ging ich wieder arbeiten. Die letzten Tage in der Tagesklinik schminkte ich mich auch wieder. Einer Schwester fiel auf, dass ich wieder frischer aussah.

Das Leben hatte mich wieder.

Doch dann, die Depression – ein rabenschwarzes Loch, ein Gefühl absoluter Leere, an nichts Freude, nicht einmal am Beisammensein mit meinen süßen Kindern – befiel mich. Es war eines der schlimmsten Gefühle, welche ich bisher erlebt hatte.  Ich lief in unserer Wohnung  unruhig auf und ab, wäre am liebsten vor mir selber weggerannt, fühlte mich so wahnsinnig unwohl in meiner Haut. Verzweifelt rief ich meine Mutti an, ich war so ratlos. Was war nur mit mir los.

Das Beste, was ich in der Situation machen konnte, war mein Besuch beim Hausarzt. Mein damaliger Psychiater hatte nur so „weise“ Worte für mich, wie „machen Sie was Schönes, spielen Sie mit Ihren Kindern“. Aber mein Hausarzt gab mir ein paar wundervolle Pillen. Nach kürzester Zeit hellte sich meine Stimmung auf und  das blieb auch so, als ich die Tabletten absetzte.

Ich musste diese so schlimmen Gefühle bisher nicht wieder erleben. Aber, wie sagt man so schön, das wünsch ich nicht meinem ärgsten Feind !!!

Meine Medikamente gegen die Schizophrenie nahm ich, wenn auch widerwillig, weiter.

Richtig aufgeklärt war ich über die Krankheit nicht. Mein damaliger Psychiater sagte nur einmal kurz, da ich Schuldgefühle hatte, was ich für dummes Zeug getan habe während meines ersten Schubes, da kann man nichts dafür, das ist wie ein Herzinfarkt im Gehirn. Doch die Schuldgefühle blieben trotzdem erst einmal. Ich bin soundso eher ein introvertierter Mensch und es war mir so peinlich, wie ich rumgesponnen habe. Das verstärkte sich nach meinem zweiten Schub während der Chemotherapie. Und fand dann seine Krönung, als ich bei einem dritten leichteren Schub 1999, so sinnlose Sachen gemacht habe, wie auf Arbeit im Warteraum ein Schild anzubringen „Bitte lächeln“ und das auf einer Behörde, sehr unpassend. Ich wollte nicht anders sein als die anderen, einfach nur „normal“.

Bei dem Schub während meiner Chemotherapie 1997 wurde ich sogar ans Bett fixiert und ich konnte mich hinterher nicht mehr daran erinnern, warum, was ich getan hatte. Das einzige, was mir damals Mitpatienten erzählten, war, dass ich den gesamten Speisesaal in der Psychiatrie dirigiert habe, sie sollten wohl alle singen. Mehr habe ich nicht erfahren.

Auf jeden Fall gab es aus heutiger Sicht immer einen Grund, warum ich einen Schub bekam. Es ging immer großer Stress voraus. 1997 war es die Krebserkrankung und die große Angst, zu sterben, da es schon das vorletzte Stadium war. 1999 hatte ich innerhalb von zwei Monaten zwei schwerere Verkehrsunfälle und zusätzlich kein Verständnis und keine Unterstützung durch meinen damaligen Mann.

Je länger ich die Krankheit hatte, umso mehr interessierten mich die Hintergründe. Ich war immer wieder auf der Suche nach dem Grund, warum dies alles mit mir passiert ist. Einmal entdeckte ich eine kleine Broschüre und darin las ich, dass die Schizophrenie mit dem Botenstoff Dopamin im Zusammenhang gebracht wird. Ich verstand das so, dass dieses Dopamin wichtig ist für die Verbindung der Nerven im Gehirn. Ich konnte mir nun vorstellen, dass das Dopamin vielleicht bei mir weggefallen ist und dadurch die Gedanken in meinem Kopf durcheinandergewirbelt sind – ohne jeglichen Sinn. Nun verinnerlichte ich so allmählich, dass ich ja da gar nichts dafür kann. Aber Selbstzweifel blieben trotzdem. Ich wollte doch nicht verrückt sein!

Aber, dieses verinnerlichte Gefühl, dass ich so nicht sein wollte, gab mir die Kraft, nach dem 3. Schub 1999 so normal wie nur möglich zu leben. Ich zog meine Kinder weiter groß, ich ging auf Arbeit zu meinem Halbtagsjob, na ja, den Haushalt schaffte ich nicht so gut, aber das andere war für mich wichtiger. Ich schaffte es sogar, mich endlich Ende 2001 von meinem damaligen Mann zu trennen. Dazu brauchte ich viel Kraft, denn er konnte es nicht akzeptieren, dass ICH den Schlussstrich gezogen habe, und er zahlte dementsprechend keinen Unterhalt für die Jungs. Aber sogar dies alles schaffte ich. Und das Wichtigste war damals, dass sich meine beiden Jungen dazu entschlossen, bei mir zu bleiben. Das war so wichtig für mein Mutterherz.

Ich ging auf die Suche nach meinem Traummann, von dem ich schon so oft geträumt hatte, weil mir in meiner damaligen Ehe so Vieles an Liebe, Zärtlichkeit, Verständnis und Fürsorge fehlte. Ich musste in der Zeit einige Rückschläge hinnehmen und 2004 fand ich ihn dann.

Jetzt 2007 wohne ich schon fast 2 Jahre mit diesem wundervollen Mann zusammen. Er interessierte sich so sehr für diese Krankheit, so dass wir beide viele Gespräche darüber führten. Dadurch wurde ich mir immer klarer über diese Krankheit und konnte Schritt für Schritt viel offener damit umgehen.

Ich hatte schon oft den Gedanken, dass ich meine Erfahrungen mit der Schizophrenie gerne an andere Menschen weitergeben würde. Und da ich lieber schreibe als rede, sitze ich nun hier bei herrlichem Sonnenschein auf unserem Balkon und habe angefangen, dieses Büchlein zu schreiben.

Januar 2009 – Ich will in die Klinik

So ging es nicht mehr weiter! Mir geht es seit 2 Wochen richtig schlecht, die innere Unruhe und Rastlosigkeit wird immer unerträglicher, meine Nerven streiken total, mir wird alles zu viel und mein Schatz ist nun wirklich auch am Ende seiner Kräfte. Er muss den gesamten Haushalt alleine organisieren und schmeißen und gleichzeitig mir zuhören, mich aufbauen, Mut machen, mit mir leiden.

Es ist das Beste so und es wurde auch allerhöchste Zeit, dass ich hier in der Klinik, Abteilung Psychiatrie gelandet bin.

Ich war ja schon einmal 1995 in dieser Klinik und doch in einer ganz anderen. Damals war sie noch in einer wunderschönen alten Villa untergebracht, doch nun ist vor ein paar Jahren ein großer moderner Bau entstanden. Somit war doch wieder alles neu für mich.

Schon am Empfang erwartete mich eine Hülle der Ruhe, Behaglichkeit und Ausgeglichenheit.

Auf einmal waren sie weg, diese Aufregung, wo das Herz bis zum Kopf klopft, diese vielen Gedanken und die Angst, was mich wohl erwarten wird.

Nun konnte es für mich beginnen, das Abenteuer Psychiatrie.

Ja, ich empfand das hier als Abenteuer und freute mich auf einmal ganz gelassen auf das, was in den nächsten Wochen hier auf mich zukommen wird.

Ich merkte, dass ich, trotzdem es mir hundeelend ging, alles viel bewusster wahrnahm als 1995 oder auch 1997.

X

Ich führte ein Tagebuch, aus denen ich hier Auszüge veröffentliche:

Donnerstag 15.01.2009 22.00 Uhr

Mir geht es hier richtig gut. Ich fühle mich sehr wohl und gut aufgehoben.

Gleich heute, kurz nachdem ich auf Station angekommen bin, hatte ich ein sehr langes Arztgespräch. So einen Arzt habe ich noch nicht erlebt! Er hat mich wirklich alles, was man zu der Krankheit fragen kann, gefragt und sehr gut und verständnisvoll zugehört. Ich war und bin begeistert.

Da ich das letzte Medikament gegen die Schizophrenie (Abilify) nicht vertragen habe – seitdem bin ich so unruhig und kann kaum schlafen – erhalte ich wieder das vorherige (Risperdal), was mir jahrelang sehr gut getan hat, in hoher Dosierung (4 mg). Außerdem noch eine Tablette zur Nacht zum Beruhigen und Schlafen.

Morgen bekomme ich meinen Therapieplan, da weiß ich dann, ob ich Ergotherapie, Gesprächstherapie oder was auch immer, bekomme.

Auf jeden Fall habe ich uneingeschränkten Ausgang und darf sogar jeder Zeit nach den Therapien in die Stadt gehen. Aber das wäre mir jetzt noch zu viel. Ich brauch noch viel Ruhe – bin eben krank.

So, nun hoffe ich, dass ich bald schlafen kann, ich bin immer noch so unruhig und nervös.

Freitag, 16.01.09 6.00 Uhr

Ich habe von ca. 23.00 Uhr bis 4.00 Uhr gut geschlafen. Die Tablette zur Beruhigung hat also ein bisschen gewirkt.

Mittwoch, 21.01.2009  nach 15.00 Uhr

Ich habe wieder in fremden Gesichtern bekannte Menschen gesehen und das so gehäuft, dass ich kurz vorm Durchdrehen war. Nur mit aller aktivierbaren Kraft konnte ich das verhindern. Ich hatte dann 15.00 Uhr wieder ein sehr gutes Gespräch mit meinem Arzt. Er hat mir alles gut erklärt und nun werden die Beruhigungspillen erhöht.

Mittwoch, 21.01.2000 19.00 Uhr

Ich möchte von den letzten Tagen berichten. Dabei habe ich es mir in meinem Bett gemütlich gemacht, denn ich fühle mich hier schon richtig heimisch.

Eine Besucherin hat heute gesagt, hier ist es wie in einer Wellness-Oase. Und ich habe festgestellt, dass ich mich fast wie ein Privatpatient fühle.

Wellness-Oase deswegen, weil hier am Dienstag die Fußpflege für mich da war und morgen kommt der Frisör.
Und Privatpatient, weil man hier speziell eine Schwester hat, die für einen zuständig ist, als Bezugsperson. Aber auch die anderen Schwestern und Pfleger sind sehr freundlich und hilfsbereit. Wenn ich einer sage, dass es mir schlecht geht, dann wissen es in Windeseile auch bald die anderen und wenn man ihnen begegnet, fragen sie gleich nach, wie es einen geht.
Ich habe hier noch keine unfreundliche Schwester erlebt, oder eine, die ich nicht leiden könnte.
Na ja, und der Arzt ist absolute Spitze. Er erklärt einen alles ganz genau, so dass keine Fragen offen bleiben.
Als ich heute Nachmittag bei ihm war, weil es mir durch die Tablettenumstellung sehr schlecht ging, konnte er mich gut beruhigen. Ich hab immer Angst, dass ich wie 1995 und 1997 so durchdrehe, dass ich nicht mehr weiß, was ich tue.
Da mein größtes Problem seit August 2008 ist, dass ich so kraftlos und antriebslos bin (daher ja auch die Umstellung auf das Medikament, welches ich überhaupt nicht vertragen habe), soll ich nun ein völlig neues Medikament bekommen. Es heißt Zeldox. Er hat mir das so erklärt, dass er es mit den anderen Ärzten besprochen hat und sie sich darüber einig geworden sind, diese Umstellung durchzuführen, damit ich aktiver werde und mehr Kraft für den Alltag bekomme.
Die Umstellung wird eine langwierige Sache, sie kann bis zu 4 Wochen dauern.
Ich habe genug Geduld und noch auch die Kraft dafür. Ich hoffe, das bleibt so.
So nun reicht es mir erst einmal mit Schreiben, die Tabletten machen auch langsam müde.

Donnerstag, 22.01.2009

Die letzte Nacht war sehr anstrengend und mir ist mehrmals himmelangst geworden. Der Pfleger des Nachtdienstes riet mir, die Erlebnisse für die Ärzte aufzuschreiben.
Und so sehen die Notizen der vergangenen Nacht aus:

24.00 Uhr

Ich wurde wach mit dem Gefühl, durchzudrehen, gleichzeitig roch ich für einen Moment Rauch, was dann auch ganz schnell wieder weg war. Mein Herz raste sehr schnell und ich hatte große Angst davor, durchzudrehen. Ich habe mich dann durch Stricken und Tee trinken beruhigt, außerdem bekam ich eine Beruhigungstablette. Was mir auffiel war, dass ich mich sehr anstrengen musste, mir die Uhrzeit zu merken.
Nach einer halben Stunde konnte ich wieder schlafen, ohne Angstgedanken.

1.30 Uhr

Ich bin durch direktes psychotisches Erleben wach geworden, kann mich aber jetzt nicht mehr daran erinnern. Ich hatte richtig das Gefühl, jetzt werde ich psychotisch mit Wahnvorstellungen.
Meine Bettnachbarin war zur gleichen Zeit wach und lenkte mich ab und beruhigte mich. Auf ihren Rat hin trank ich in kleinen Schlucken Wasser, dann konnte ich wieder schlafen.
Ich war in dem Moment so müde, dass ich ohne Angst vor dem nächsten Anfall einschlief.

5.00 Uhr

Ich bin durcheinander aufgewacht, ohne psychotisches Erleben. Ich bin aufgewacht und wusste noch, wie ich heiße, aber nicht mehr, wo ich wohne.
Als ich zum Pfleger gehen wollte, roch es ca. 1 Sekunde lang ganz intensiv nach Chemie im Flur, dann war das schlagartig weg.
Als ich darüber nachdachte, wie das andere Erleben in der Nacht war, wurde mir ganz schwindelig und heiß im Kopf und es hat sehr laut gerauscht. Ich beruhigte mich durch ein Gespräch mit dem Pfleger.

Zu diesen Notizen für die Ärzte habe ich noch folgendes hinzugeschrieben:

In den letzten Tagen fiel mir besonders auf, dass ich sehr große Schwierigkeiten mit der Konzentration und  der Wortfindung habe. Dies ist besonders dann sehr intensiv, wenn ich aufgeregt bin. Ansonsten in Ruhe beim Schreiben kann ich mich besser konzentrieren. Ich merke jedoch auch hier, dass die Gedanken immer wieder abschweifen. In Gesprächen ist dieses Abschweifen und unkonzentriert Sein so stark, dass ich dem Gespräch nicht mehr folgen kann.

Samstag, der 31.01.09 15.00 Uhr

Wie hier die Zeit vergeht, mir war noch nicht einmal langweilig.

Seit meinen letzten Zeilen ist ganz schön viel passiert.

Mir ging es lange sehr schlecht. Ich hatte sogar Wahrnehmungsstörungen und Wahnvorstellungen. Mein Arzt hat mir erklärt, dass mein Stoffwechsel im Gehirn durch die Umstellung auf das Medikament vor dem Klinikaufenthalt entgleist ist und einen Schub der Schizophrenie ausgelöst hat.
Ich habe diesen Schub als sehr heftig empfunden und musste alle meine Kräfte mobilisieren, um nicht so sehr durchzudrehen, dass ich nicht mehr weiß, was ich anstelle. Zum Glück hatte ich mich so im Griff, dass ich zu jeder Zeit wusste, was ich tat und  was in mir vorging.
Mein Arzt und die Schwestern waren immer – Tag und Nacht – für mich da und sofort mit den richtigen Worten und den richtigen Tabletten zur Stelle. So, dass ich mich immer wieder schnell beruhigen konnte und viel geschlafen habe.

Ich muss schlimm ausgesehen haben, wie eine Kalkwand, richtig und krank und alt, so dass nun mehrere Leute hier festgestellt haben, dass ich jetzt schon viel besser aussehe.

Diese Woche hatte ich dann keine Wahrnehmungsstörungen mehr. Es ging mir einen oder einen halben Tag gut, den nächsten Tag hatte ich wieder sehr unangenehmes Kopfkribbeln, so im Wechsel, so dass ich immer wieder auch einen Tag zum Verschnaufen dabei hatte.

Als es mir diese Woche an einem Tag wieder so richtig schlecht ging – mein Kopf kribbelte mir bis in die Arme und Hände hinein, ich hatte wieder das altbekannte Gefühl, dass ich am liebsten vor meinem Körper wegrennen könnte, es war wieder so sehr unangenehm - da setzte sich die Schwester, die immer alles mit knappen Worten auf einen Punkt bringt, zu mir ans Bett und sagte nur ein paar Worte: „Die Nerven sind überreizt“.
Das ging mir dann auch wie ein Licht auf. Natürlich!!! Genau das ist es, das ist die Ursache!!!
Meine Psychiaterin hatte mich da immer nicht verstanden und meinte immer, das sind Verspannungen und hat mir Pfefferminzöl empfohlen, was gar nicht geholfen hat.
Und hier setzt sich die Schwester zu mir ans Bett und serviert mir verständnisvoll die Lösung. Das Gute ist, dagegen gibt es ein Medikament, wo ich mich nicht mehr, wie zu Hause, rumquälen muss, sondern ganz entspannt einschlafen kann. Das Truxal, welches ich zurzeit sowieso dreimal täglich zur Beruhigung bekomme. Die Schwestern dürfen es mir auf Anordnung des Arztes auch zwischendurch geben.
Mein Arzt hat mir erklärt, dass es ein schwaches Neuroleptikum ist, was beruhigend und schlaffördernd wirkt. Das Gute daran ist, es macht nicht abhängig. Das ist doch genau das Wundermittel, was ich mir seit Jahren so sehr herbeigesehnt habe.

Mein Therapieplan ist ja noch nicht so sehr ausgefüllt. Die anderen hier haben ein viel strafferes Programm. Dabei wird sehr darauf geachtet, dass dieser Therapieplan auch eingehalten wird. Einer von hier musste schon gehen, da er nicht eingesehen hat, Frühsport machen zu müssen.
Ich nehme so was ja sehr genau und bin auch hier sehr pflichtbewusst, da ich auch merke, dass es mir gut tut. Nach Absprache mit dem Arzt kann ich mich aber auch mal entschuldigen, wenn es mir schlecht geht.
Einmal habe ich es diese Woche in Anspruch genommen. Und das war gut so, denn ich glaube, da habe ich einem weiteren Schub der Psychose entgegengewirkt.

Übrigens, seit Dienstag gehe ich von 9.15 Uhr bis 10.15 Uhr zu einer Gruppe, wo alle Schizophrenie haben. Diese Gruppe wird von einem Arzt, einer Psychologin und einer mir sehr sympathischen Schwester geleitet.
Es war so ein unbeschreibliches Gefühl, als ich dort das erste Mal hinkam. Ich wusste gar nicht, dass es hier so viele mit dieser Krankheit gibt. Ich war überwältigt, sehr erstaunt und fühlte mich sofort in dieser Gruppe unglaublich wohl. Jetzt freue ich mich schon wieder auf nächsten Dienstag.

Ich könnte noch so viel schreiben, ich erlebe hier so viel. Das ist reichlich Stoff für ein neues Buch.
Jeder Mitpatient hat seine eigene Geschichte und wir verstehen uns alle gut. Wir sind wie eine große Familie und trösten uns gegenseitig, ermuntern uns durch kleine Witzchen und passen gegenseitig aufeinander auf.

Mein Mario

Ich bin heute in richtiger Schreiblaune. Es geht mir heute Nachmittag, nachdem ich viel geschlafen habe und in der Cafeteria einen starken Kaffee getrunken habe, so gut, dass ich es gerade sehr genieße.

Ich möchte hier etwas über meinen Mario schreiben.

Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht wo ich anfangen soll. Es gibt so viel Schönes über ihn und unsere Beziehung zu sagen.

Jeden Tag war er bisher hier bei mir in der Klinik. Nur heute hat er sich einmal einen Tag eine Auszeit genommen. Dafür hat er aber auch schon zweimal angerufen und mir damit ein Lächeln ins Gesicht gezaubert wie schon oft und das seit 5 Jahren und nicht nur jetzt, aber gerade auch in dieser schweren Zeit.

Wo soll ich anfangen. Bei der so sorgfältig zusammengelegten Wäsche, die er mir hier immer so ordentlich in den Schrank legt, so dass es mich glücklich macht, wenn ich ein Kleidungsstück herausnehme. Oder doch lieber bei unserem fast täglichen Tischtennisspiel, wo wir so viel Spaß haben und ständig lachen. Es fällt nur aus, wenn es mir zu sehr schlecht geht. Dann sitzt er bei mir am Bett und muntert mich auf. Oder wir gehen in die Cafeteria, gemütlich einen Kaffee trinken. Dazu öfters ein Eis oder auch mal ein Stücken Kuchen. Und dann unterhalten wir uns so schön. Die Krankheit ist dabei seltener ein Thema. Wir haben uns auch nach 5 Jahren immer wieder so viel zu erzählen.

Aber vor allem möchte ich von den schweren Wochen vor diesem Klinikaufenthalt berichten. Da sind wir  beide an das Höchste unserer Grenzen geraten. Mario war mein Geliebter, mein Freund, wie immer, aber er war auch mein Therapeut. Das hat ihm so viel Kraft gekostet, dass er dann, als ich endlich in der Klinik war, Schlafstörungen hatte und er total nervlich fertig war mit Sehstörungen und anderen Beschwerden. Erst ein gemeinsames Gespräch mit meinem Arzt hier in der Klinik hat ihm geholfen, wieder seinen wohlverdienten und so wichtigen Schlaf zu finden.

Und ich glaube auch, dieses sichere Gefühl, dass ich hier in wirklich guten Händen bin und er sich nicht mehr so schlimme Sorgen um mich machen muss, wie vor der Klinikeinweisung, hat dazu beigetragen.

Wir müssen jetzt nicht mehr ständig, jede Minute, Tag sowie Nacht, über meine Krankheit reden, wie es die letzten Wochen vor meiner Einweisung war. Wir haben jetzt zum Glück wieder andere, schönere und entspannendere Themen.

Und ich kann auch von dem Mario berichten, der heute am liebsten doch hergekommen wäre, obwohl das heute sein Ausspanntag werden sollte. Und das nur deshalb, weil es mir heute Vormittag wieder sehr schlecht ging. Zum Glück konnte ich ihn beruhigen, da ich mich hier niemals einsam fühle.

Zwischen Mario und mir das ist so eine einmalige und wunderbare Liebe. Eine Mitpatientin hat gesagt, wir sehen aus wie Zwillinge.

Immer noch Samstag, 31.01.09 15.45 Uhr

Kaffeetrinken auf Station ist gerade vorbei, es gab ein kleines Stückchen Rührkuchen und Muckefuck.

Ein Mitpatient hat mir auch noch seine Packung Butterkekse  mit Schokolade geschenkt. Ja, auch hier ist schon allseits bekannt, dass ich eine große Naschkatze bin.

Auch ein weiterer Mitpatient versorgt mich immer mit zusätzlichem Pudding, Joghurt und meiner heißgeliebten Petersilie.

Und schon bin ich bei meinen lieben Mitpatienten gelandet. Ich hatte ja schon geschrieben, dass wir hier wie eine große Familie sind. Das haben auch schon die Schwestern festgestellt und gesagt, dass es so was hier auch noch nicht gab.

Wir sind hier genau 20 Leute, eine bunt gemischte Gruppe. Da sind Omis mit Demenz dabei, ein Opi mit Knochenschmerzen, die vielleicht auch von der Psyche kommen. Frauen im Alter von meiner Mutti mit Depressionen und unser Küken. Sie ritzt sich, weil ihre großen seelischen Schmerzen ein Ventil brauchen. Sie isst so gerne Pflaumenmus und die Männer an ihrem Tisch besorgen ihr zum Frühstück und zum Abendbrot immer diese kleinen Schachteln mit Pflaumenmus. Oder da ist noch eine Frau in meinem Alter, die Depressionen und Ängste hat und sich dadurch auch ritzt. Ich habe jetzt angefangen, ihr ein paar Stulpen für die Arme zu stricken, weil sie diese sich so sehr wünscht, um ihre Narben zu verdecken und sie niemanden hat, der ihr welche strickt.

Ein Mann, der wie ein großer Bruder zu mir ist und doch auch mal eine Schulter zum ausweinen braucht. Er ist so ein Gutmütiger, aber wenn ihm was gegen den Strich geht, irgendeine Ungerechtigkeit, dann kann er auch ganz schön ausrasten. Beim Mensch-Ärgere-Dich-nicht-Spiel reißt er sich hier mächtig zusammen. Zu Hause, sagt er, darf er es nicht mehr spielen, weil er nicht verlieren kann. Er spricht mit so viel Stolz und Liebe von seiner Frau.

Oder meine Zimmernachbarin, die mir schon mal leckeren, selbst gemischten und dolle gesüßten Pfefferminz-Kräuter-Früchte-Tee bringt, wenn es mir so richtig schlecht geht. Sie ist 67 Jahr alt und achtet auch mal drauf, dass ich richtig am Rücken zugedeckt bin.
Wir haben schon mehrere Stunden in der Nacht uns ausführlich unterhalten, weil ich oder auch mal wir beide nicht schlafen konnten. Aber, wenn ich ohne Beschwerden einfach nur mal in der Nacht eine Stunde wach bin, dann schleiche ich mich ganz vorsichtig aus dem Zimmer und stricke draußen im Flur in der Sitzecke gegenüber von der Schwesternzentrale oder male auch mal oder schreibe eben wie jetzt an  meinem Tagebuch. Wenn sie dann wach wird, wundert sie sich jedes Mal, wie ich es wieder geschafft habe, mich unbemerkt rauszuschleichen.

Und mittendrin ich, als stiller Beobachter, manchmal schmunzelnd, dann wieder staunend und immer wieder mal aufmerksam zuhörend, wenn eine oder einer mir seine Lebens- oder Leidensgeschichte erzählen will. Dabei stelle ich immer wieder fest, dass ich doch auch schon so viel Lebenserfahrung habe, dass ich auch mal einen Rat oder ein richtig angebrachtes aufmunterndes Wort geben kann.

X

Ich möchte auch etwas zu meiner Gruppe schreiben, wo wir Schizophrenen unter uns sind.
Sie heißt psychoedukative Gruppe, kurz PEG.
Beim ersten Mal kam ich vor dem Gruppenraum an, da saß eine sehr einfach aussehende Frau undefinierbaren Alters sehr abwesend guckend vor dem Raum und ein Jugendlicher fläzte sich schlafend über mehrer Stühle. Dieser erste Eindruck machte mir echt Angst. Dann konnten wir drei den Gruppenraum betreten. Die Schwester war in diesem Moment mein rettender Anker mit ihrem sympathischen Lächeln.
Nach und nach füllte sich der große Raum. Es kamen Männer herein, denen man sofort ansah, dass sie krank waren. Dann kamen noch zwei Männer, die sahen richtig gesund aus, ich jedenfalls sah ihnen die Krankheit nicht an. Zum Schluss folgten noch zwei Frauen – eine mit langen gepflegten schwarzen Haaren, sie erinnerte mich ein bisschen an eine Freundin. Und eine sehr gepflegte, geschminkte Frau, auch in meinem Alter, mit sehr schicken Sachen. Es waren sogar auch zwei bekannte Gesichter darunter. Einer davon ein Nachbar, der immer sehr freundlich grüßt, wo wir uns aber gewundert hatten, was er manchmal für komische Sachen erzählte, komisch aber doch auch sehr nett.
Ich war sehr erstaunt und verblüfft, wir waren in der Runde ca. 20 Leute. Ich hätte nie gedacht, dass es in unserer Gegend so viele mit dieser Krankheit gibt.
Aber das schrieb ich schon (daran sieht man, wie sehr das mich beeindruckt hat).
Im Verlaufe der Stunde in dieser Gruppe fühlte ich mich so wohl, so dass ich mich mit der Krankheit selber neu entdeckte. Ich, die schüchterne, zaghafte, jeden öffentlichen Auftritt vermeidende und dann gleich Herzklopfen bis in den Kopf bekommende Ina beteiligte mich wie selbstverständlich sehr rege an der Diskussion. Für mich ein Zeichen, dass ich mich wie in einer Familie fühlte.
Ja, ich fühlte mich wie angekommen – so richtig wohlig.

Beim zweiten Mal eröffnete ich sogar eine Diskussionsrunde. Das kam so:
Da wir uns jedes Mal am Anfang der Runde kurz vorstellen, habe ich mitbekommen, dass fast alle nicht mehr stationär hier in der Klinik sind, sondern ambulant betreut werden hier im Haus.
Nun war meine Frage, ob ich nach meiner Entlassung auch noch in die Gruppe kommen könnte, obwohl ich nicht durch die Klinikambulanz betreut werde, sondern durch eine niedergelassene Psychiaterin.
Das war eine Frage, die so in dieser Gruppe noch nie gestellt wurde. Und genau diese Frage warf ein großes Problem auf. Das geht nämlich nicht. Die Krankenkasse bezahlt nämlich nicht die niedergelassene Ärztin und davon abgetrennt die PEG – unsere Gruppe. Sie zahlt nur die PEG, wenn man von der Klinikambulanz betreut wird.
Aber ich fühlte mich in der Gruppe so wohl, dass ich unbedingt auch nach meiner Entlassung daran teilnehmen wollte.
Der Arzt, welcher die PEG leitet, will sich nun erkunden, ob es vielleicht für mich eine Ausnahmeregelung gibt.
Ich bin hin- und her gerissen, ob ich zu meiner jetzigen Ärztin zurückkehren werde oder die Klinikambulanz mit der PEG nutze. Eigentlich sehe ich in der zweiten Variante nur Vorteile.

So, nun ist es in der Zwischenzeit schon 20.30 Uhr geworden. Nun kommt langsam die Müdigkeit.
Da habe ich aber auch heute viel geschrieben. Aber ich muss sagen, es hat mich entspannt.
Meine Zimmerkollegin hat heute bis morgen Heimurlaub, da hatte ich viel Muse zum Schreiben.

Ich wurde auch gefragt, ob ich nach Hause möchte am Wochenende. Da habe ich bei der Visite aber gemeinsam mit den Ärzten entschieden, dass er noch zu viel wäre, dieser Wechsel aus der Gewohnheit von über zwei Wochen Klinik in den, zwar wunderschönen, Alltag. Zu viel für meine Nerven, diese auf mich zukommenden Eindrücke zu verarbeiten.
Mein Schatz kommt ja so gut wie jeden Tag her, so dass ich ihn nicht vermissen muss.

So, nun fallen mir schon fast die Augen zu. Ich muss nur noch warten bis es 21.00 Uhr ist, da hole ich mir von der Schwester die Nachttablette ab.

Ein kleines Körbchen für mein Strickzeug
Sonntag, der 1. Februar 2009, es ist 17.00 Uhr

Auf Station ist angenehme Sonntagsruhe und ich möchte diese Stille nutzen, um von einem nicht so angenehmen Erlebnis am Freitag zu berichten.

Ergotherapie – Korb flechten – alles fing so angenehm ruhig an.

Ich weichte in warmem Wasser mein Peddigrohr ein und konnte in der Zeit meinen Arbeitsplatz vorbereiten. So rollte ich den bereits auf meine Größe heruntergelassenen Hocker hin.

Dann begann ich in einer ausgeglichenen und zufriedenen Stimmung mit dem Flechten. Das war die ersten Male nicht so gewesen. Die vielen neuen Eindrücke verwirrten mich. Das hatte ganz schön geschlaucht.

Mein Korb war erst 6 cm hoch, also noch richtig schön viel Zeit zum Flechten.

Doch dann dachte ich, dass ich ja gar nicht wusste, wie viel Zentimeter von den senkrechten Staken übrigbleiben muss, um damit noch einen geflochtenen Rand hinzubekommen.

Meine, solche schöne angenehme Ruhe ausstrahlende Ergotherapeutin war leider nicht da. Also fragte ich den Ergotherapeuten im Nebenzimmer. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, da schnitt er mein überstehendes Peddigrohr ab und verwies mich auf ein Buch, in welchem die Arbeitsschritte des Randes standen. Denn 12 cm könne mein Korb nun auf einmal nicht mehr hoch werden, weil dann nicht genug Zentimeter an den Staken für den geflochtenen Rand übrig sei. Bei den bereits vorhandenen 6 cm Höhe ginge es wohl gerade noch so.

Ja, da saß ich nun vor diesem Heft. Gleich kribbelte mein Kopf wieder so stark und unangenehm, ich konnte mich nicht auf die Arbeitsschritte im Heft konzentrieren, das ging einfach nicht. Ich war schon fast am Verzweifeln. Vor diesem Schub der Schizophrenie konnte ich mich auf die kompliziertesten Häkelanleitungen konzentrieren und nun ging einfach gar nichts. Doch ich wollte nicht aufgeben, die Therapie dauerte noch eine viertel Stunde.

Also blätterte ich das ganze Buch durch, auf die Fotos der verschiedenen Körbe konnte ich mich gut konzentrieren. Außerdem gefielen mir ein Paar abgebildete Serviettenringe sehr.

Dann versuchte ich mich wieder auf die Anleitungen der verschiedenen Korbränder zu konzentrieren, es ging einfach nicht!

Die junge, immer lächelnde Ergotherapeutin vom Mandala-Malen musste dies bemerkt haben. Sie fragte mich, ob es nicht geht. Ich gab zu, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Dann war die halbe Stunde Therapie endlich vorbei.

Zwei Nächte später – ich wachte mal wieder mitten in der Nacht auf – dachte ich wieder an die komplizierten Ränder in diesem Buch. Aber es war ja auch ein ganz einfacher, nicht geflochtener Rand dabei. Mit diesem konnte ich meinen Korb doch noch höher flechten, was ja auch wichtig ist, weil ich ja da mein Strickzeug hineinlegen möchte. Und dieser Rand ist wirklich einfach.

Ich werde morgen zur Therapie einmal probieren, ob ich diesen Rand hinbekomme. Er gefällt mir nicht nur, weil er einfach ist, sondern er sieht auch gut aus – einfach einmal anders, als die vielen geflochtenen Ränder.

Hoffentlich bekomme ich das morgen hin!!

Mein schöner Puderzucker-Park

01.02.2009 18.30 Uhr

Heute früh, als ich vor dem Frühstück in unserer Sitzecke aus dem Fenster gesehen habe, war alles mit dickem Puderzuckerschnee überzogen. Das sah schön aus.

Aber ich dachte natürlich an erster Stelle an meinen Süßen, wie sollte er es nur mit dem Fahrrad hierher schaffen, ohne zu stürzen!!!?

Jetzt kann ich sagen, er hat es geschafft und ist heute am späten Nachmittag auch  wieder wohlbehalten zu Hause angekommen.

Aber der Blick aus dem Flurfenster heraus ließ mich ganz einfach entzücken. Mein schöner Puderzucker-Park, einfach nur herrlich!

Ich überlegte lange, sollte ich es wagen hinauszugehen?
War es vielleicht zu glatt, oder wurden vielleicht meine einzigen Straßenschuhe, die ich hier hatte, so nass, dass ich am Nachmittag auf unseren Gang in die Cafeteria verzichten musste?

Ich hab es gewagt! Und wurde so wundervoll belohnt! Eine halbe Stunde durch diese herrliche Winterlandschaft bei ganz klarer Winterluft! Mein Kopf war wieder so frei.

Und dann habe ich unterwegs auch noch ein bisschen mit meinem Süßen telefoniert, wir waren dabei beide so lustig drauf.

Schön, einfach nur schön!!!

Drei Teddys

Unser Küken auf Station schlich mit einem Stück Stofffetzen im Arm über den Flur.

Dann plötzlich ein paar Stunden später saß sie ganz still an einem Tisch im Speisesraum und ich erkannte, der kleine braune Stofffetzen war ein zerschlissener – oder besser zerliebter Teddybär.

Ich erzählte ihr von Jimmy meinem kuscheligen Braunbären und seinem kleinen selbst gehäkelten grünen Freund Happy – meine beiden Tröster in schweren Nächten.

Sie lächelte mich an und sagte mir, wie lieb sie ihren kleinen braunen Teddy hat, der schon 7 Jahre alt ist.

Ich entdeckte, dass er am linken Auge ein kleines Loch hat. Ich glaube, sie will dieses Loch gar nicht flicken lassen.

Als sie mal kurz meinen Jimmy, welchen ich schnell aus dem Zimmer geholt hatte, auf dem Schoß hatte, guckte sie so selig. Ich zeigte ihr die samtig weichen Pfoten und die kleinen Perlen in den Füßen. Darauf sage sie schmunzelnd, dass ihr Teddy diese Perlen im Po hat. Ach was haben wir beide gelacht.

Jonas – Eine bewegende Begegnung

Es ist der 05.02.2009 – ich sitze auf meinem Bett und bin bewegt, sehr nachdenklich und etwas traurig.

Im Speiseraum, an unserem 5-er Tisch, sitzt mir von Anfang an ein junger Mann gegenüber. Er ist immer sehr müde und in sich gekehrt. Selten, dass ich ihm mit einer lockeren Bemerkung ein Lächeln entlocken kann.

Gestern fiel mir das erste Mal auf, dass er genau diese Bewegungen mit den Beinen macht, wie ich vor Jahren unter dem Neuroleptikum Haloperidol. Ständige, rhythmische Auf- und Ab-Bewegungen. So als wenn man sehr nervös ist. Diese sind aber ständig.

Außerdem sah ich zufällig, als ich meinen Therapieplan aus dem Schwesternzimmer holte, dass auf Jonas´ Therapieplan auch die PEG – meine Schizophrenie-Gruppe – angekreuzt war.

Heute zum Abendbrot nutzte ich die Gelegenheit, als wir beide nur noch alleine am Tisch saßen. Ich sprach ihn an: „Jonas, ich glaube, wir beide haben dieselbe Krankheit“. Ganz  vorsichtig sagte ich das, mehr fragend, ich wollte ihn nicht verschrecken. Er hauchte, kaum zu verstehen, fragend: „Schizophrenie?“. Ich nickte.

Er sah mich mit seinen klaren blauen Augen direkt an. So direkt, wie nur ganz selten und dann auch nur  für Bruchstücke einer Sekunde.

Wir sprachen über diese Feststellung nur ein paar Sätze. Ich sagte ihm, dass ich die Krankheit jetzt bereits 14 Jahre habe. Er mit seinen 22 Jahren hat diese seit 2 Jahren. Da musste ich ihm unbedingt noch mitteilen, dass ich einige Jahre nicht akzeptieren konnte, dass ich diese Krankheit habe und deshalb am Anfang die Tabletteneinnahme vernachlässigt hatte, was mir damals nicht gut getan hat.

Er stand bald auf und ging in sein Zimmer.

Und nun sitze ich hier, bin bewegt, sehr nachdenklich und etwas traurig, denn ich denke auch an meine beiden Jungs, die jetzt 20 und 23 Jahre alt sind.


OOO

Sonntag, 08.02.2009

Gute Stunden – schlechte Stunden

Mein Arzt und auch die Schwestern bremsen mich immer ein bisschen, wenn ich so voller freudigem Übermut sage, dass es mir gerade sehr gut geht. Ich glaube in dem Moment leuchten auch meine Augen. Aber sie sagen mir immer gleich, dass auch wieder schlechte Stunden kommen können. Diese Schwankungen entstehen durch die Tablettenumstellung.

Am Freitag hatte ich dann auch nach 3 sehr guten Tagen einen richtig schlechten Tag. Mir ging es wirklich sowas von schlecht!

Mein Kopf kribbelte so stark, das ging über die Arme bis in die Hände hinein. Dabei fühlte ich mich so unwohl in meiner Haut, ich hätte wiedermal vor mir selber wegrennen können.

Ein kleiner Anstoß genügte und ich wweinte, weinte und weinte – über eine Stunde lang liefen die Tränen. Ich konnte einfach nicht aufhören. Dabei war ich so dolle traurig. Ich tat mir richtig selber leid. Es kamen gleichzeitig noch viele traurige Gedanken.  Es war nur schlimm und nicht auszuhalten. Ich wollte einfach nur noch schlafen, damit ich all das nicht mehr merkte.

Jedoch, da ich mich noch in meiner Therapiestunde abmelden musste, welche erst 11.00 Uhr anfing, kam ich einfach nicht zur Ruhe. Ich weinte so sehr, ich konnte nicht mal Mittag essen. Aber dann konnte ich endlich etwas schlafen. Danach kam dann auch langsam der Hunger. Ich wurde von den Schwestern richtig verwöhnt. Eine war so lieb, sie brachte mir mein Mittagessen, was sie noch einmal aufgewärmt hatte, aufs Zimmer.

Dann kam mein Mario. Er sah so besorgt aus und ich konnte mich auf kein Gespräch konzentrieren, so schlecht ging es mir. Er musste leider bald wieder gehen, denn ich konnte ganz einfach nur noch schlafen.

Trotzdem hat es gut getan, dass mein Schatz kurz bei mir war und mich tröstend in den Arm genommen hat.

Doch kaum ging es mir am Abend etwas besser, da ging ich runter und raus vor die Tür, um dies am Handy sofort meinem Schatz zu berichten.
Ich wollte ihn unbedingt beruhigen.

Am nächsten Tag hatte ich dann dolle Migräne. Es war Samstag und sollte mein erster Zuhause-Tag werden.
Ich schaffte es noch mit dem Taxi nach Hause und dann schlief ich und schlief ich bis 14.00 Uhr.

Dann ging es mir wieder gut und ich konnte den restlichen Tag zu Hause noch genießen.

Übrigens, das Gefühl, nach über 3 Wochen wieder zu Hause zu sein, war so überwältigend, dass ich im ersten Moment ganz herzhaft weinen musste.
Und mein Schatz sah an diesem Tag besonders süß´aus. Das sehe ich noch jetzt richtig vor mir.



Ein nettes Hallo an unsere liebe Nachbarin(welche mich auch in der Klinik besuchte)
„Liebe Frau M., Ihr Brief war für mich so herzerfrischend, da hatte ich mir gleich vorgenommen, Ihnen zu antworten.
Wie sagte man früher – eine nette Korrespondenz.

Ich hatte Ihnen ja gar nicht geschreiben, dass die 2 cm zu viel an den Stulpen für S. genau richtig waren, sonst wären sie zu kurz geworden. Sehr gut gemacht, Frau Nachbarin, Sie Superstrickerin. Ja, ja ein Lob von einem blutigen „Anfänger“. Übrigens vielen Dank nochmal, dass sie meine angefangenen Stulpen nochmal „gerade gebogen“ und sogar fertig gestellt haben!!!!

Auf meine private Unterrichtsstunde „Nadelarbeit“ bei Ihnen freue ich mich auch schon riesig!

Aber erst einmal heißt es Therapie-Schlafen-Therapie-Schlafen und …
… ab und zu einmal eine „nette Korrespondenz“.

Denn mein doch etwas steiniger Weg zur Genesung ist noch nicht beendet, aber ich glaube, ich schlage mich recht wacker.

Morgen ist Visite, mal sehn, ob ich die Doktoren umgarnen kann, denn ich habe vor, am Samstag von 8.00 bis 20.00 Uhr nach Hause zu kommen. Und am Sonntag genau dasselbe. Na, wenn schon, denn schon!

Ich freue mich auf ein kurzes Pläuschchen zwischen den beiden Wohnungstüren und drücke Sie ganz lieb

Ihre Nachbarin Ina“
Meine vielen Notizen während meines Aufenthaltes 2009 und auch 2010 muss ich erst noch sortieren, dann schreibe ich hier weiter. In einem Post werde ich Dich darüber informieren.